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Shavasana – Die Kunst des Loslassens

  • Autorenbild: Bettina Koch
    Bettina Koch
  • 31. Juli
  • 6 Min. Lesezeit

Es gibt kaum eine Haltung im Yoga, die so einfach aussieht – und gleichzeitig so herausfordernd ist – wie Shavasana, die sogenannte Totenstellung. Sie ist meist der krönende Abschluss einer Yogastunde, doch viele wissen gar nicht, welch große Bedeutung sie hat. Vielleicht gehörst du auch zu denjenigen, die sich in dieser Asana manchmal unruhig wälzen, schnell abdriften oder ungeduldig auf das Ende warten?


Junge, fitte Frau praktiziert Yoga und macht Shavasana im hellen Yogastudio umgeben von Gewächshauspflanzen.
Hinter Shavasana verbirgt sich eine tiefgreifende Praxis, die Körper, Geist und Seele gleichermaßen beeinflussen kann. © Foto: Galina Zhigalova | Canva

In diesem Beitrag tauchen wir tief ein in die Welt der Shavasana: Woher kommt sie, wie wird sie richtig ausgeführt, warum ist sie so zentral im Yoga – und was solltest du dabei unbedingt beachten? Lass uns gemeinsam entdecken, warum diese scheinbar passive Haltung in Wahrheit zu den kraftvollsten Praktiken im Yoga gehört.


Herkunft und Bedeutung des Namens


Shavasana (Sanskrit: शवासन) setzt sich aus zwei Teilen zusammen:


  • „Shava“ bedeutet „Leichnam“ oder „Toter“.

  • „Asana“ heißt „Sitz“ oder „Körperhaltung“.


Wörtlich übersetzt bedeutet Shavasana also: "Die Haltung eines Leichnams" oder auch "Totenstellung".


Diese Bezeichnung wirkt auf den ersten Blick makaber, aber sie ist tief symbolisch. In Shavasana übst du das vollkommene Loslassen – auf körperlicher, geistiger und emotionaler Ebene. Wie ein Leichnam gibst du alle Muskelanspannung, jedes Wollen und jede Kontrolle auf. Es ist eine Praxis des Sterbens im Kleinen – um im Großen neu geboren zu werden: friedlich, gelöst und ganz bei dir selbst.


Shavasana wird traditionell am Ende einer Yogastunde praktiziert, um die physische und mentale Wirkung der vorangegangenen Übungen zu integrieren. Sie dient dazu, den Geist zur Ruhe zu bringen, die Atmung zu harmonisieren und den Körper in einen Zustand tiefer Entspannung zu versetzen.


Darüber hinaus hat Shavasana eine besondere Rolle im modernen Yoga, da sie als Brücke zwischen der körperlichen Praxis (Asana) und den subtileren Praktiken wie Meditation und Pranayama dient. Sie erlaubt es uns, die Stille zu erforschen und präsent im Moment zu sein – ein Aspekt, der in unserer hektischen Welt oft verloren geht.


Die korrekte Ausführung von Shavasana


Obwohl Shavasana äußerlich einfach aussieht, kommt es auf die Details an. Schon kleine Unachtsamkeiten können die Wirkung beeinträchtigen. Deshalb hier eine Schritt-für-Schritt-Anleitung:


Vorbereitung


  • Finde einen ruhigen Ort, an dem du ungestört bist.

  • Nutze eine Matte oder weiche Unterlage. Im Winter gern mit einer Decke unter dir.

  • Ziehe dich warm genug an, da der Körper in der Entspannung schnell auskühlt.

  • Nimm dir bewusst Zeit – idealerweise 5 bis 15 Minuten, nach einer intensiven Praxis auch länger.


Schritt-für-Schritt-Anleitung


  1. Lege dich flach auf den Rücken, Beine etwas mehr als hüftbreit auseinander.

  2. Die Füße fallen locker nach außen, ohne dass du sie bewusst steuerst.

  3. Die Arme liegen etwas vom Körper entfernt, Handflächen zeigen locker nach oben.

  4. Schließe die Augen sanft.

  5. Ziehe das Kinn leicht Richtung Brust, um den Nacken zu verlängern.

  6. Mach es dir bequem: unterstütze bei Bedarf Nacken, Knie oder unteren Rücken mit Kissen, einer Decke oder einer gerollten Matte.

  7. Atme zunächst bewusst ein paar Mal tief ein und aus – dann lasse den Atem natürlich fließen.

Körper und Geist loslassen


Jetzt beginnt die eigentliche Praxis:


  • Scanne deinen Körper: Gehe gedanklich von den Zehen bis zum Scheitel durch und lasse nach und nach jede Spannung los.

  • Richte die Aufmerksamkeit auf den Atem – ohne ihn zu kontrollieren. Beobachte nur.

  • Wenn Gedanken auftauchen (und das werden sie!), nimm sie wahr, aber bleibe in der Rolle der Beobachterin oder des Beobachters. Kehre dann sanft zur Präsenz zurück.


Aufwachen


  • Bewege langsam deine Finger und Zehen, um den Körper sanft aufzuwecken.

  • Rolle dich auf die rechte Seite, bevor du langsam, ganz ohne Eile und in deinem eigenen Tempo in eine sitzende Position zurückkehrst.


Junge Frau in Shavasana mit einer Rolle unter den Knien.
Mit einer Rolle unter den Knien lässt sich Shavasana noch müheloser gestalten. © Foto: ilbusca | Getty Images Signature via Canva

Der tiefere Sinn von Shavasana


Shavasana ist weit mehr als nur „der Schluss der Stunde“. Sie ist eine eigenständige, tief transformative Praxis.


Physisch: Regeneration und Heilung


  • Der Körper erhält Zeit, sich zu erholen und zu integrieren.

  • Das Nervensystem wird vom sympathischen in den parasympathischen Modus (Ruhemodus) geschaltet.

  • Herzschlag, Atemfrequenz und Blutdruck sinken, der Körper beginnt mit Reparaturprozessen.

  • Nach intensiven Asanas hilft Shavasana, die Muskelspannung zu lösen und eine Überforderung zu vermeiden.


Mental-emotional: Loslassen und Klarheit


  • Du lernst, Gedanken zu beobachten, statt sie zu kontrollieren.

  • Du entwickelst ein Gefühl von Frieden und innerer Weite.

  • Viele Yogis berichten, dass gerade in Shavasana tiefe Einsichten oder kreative Ideen auftauchen.

  • Es ist ein Raum, in dem du mit dir selbst in Kontakt kommst – ohne Rollen, Erwartungen oder Ziele.

Spirituell: Das Ego loslassen


  • In der yogischen Philosophie ist Shavasana eine Übung im Loslassen des Egos – der Identifikation mit Körper, Geist, Leistung.

  • Es ist eine Praxis der Hingabe, fast wie eine kleine Meditation über den Tod und die Vergänglichkeit.

  • Und gerade deshalb auch eine Feier des Lebens, das immer wieder neu beginnt.


„In der Totenstellung stirbt das Ego – und das wahre Selbst beginnt zu atmen.“ – (frei nach B.K.S. Iyengar)


Was du beachten solltest


Shavasana ist sehr individuell. Jeder Mensch bringt einen anderen Körper, eine andere Geschichte und Tagesverfassung mit. Achte deshalb auf folgende Punkte:


1. Rückenprobleme oder Schmerzen


Wenn du im unteren Rücken Schmerzen bekommst, kannst du:


  • Die Knie leicht beugen, z. B. mit einer Rolle oder Kissen unter den Knien.

  • Eine Decke unter das Becken legen, um die Lendenwirbelsäule zu entlasten.


2. Nackenspannung


  • Ein kleines, flaches Kissen unter dem Kopf kann helfen.

  • Alternativ: ein zusammengefaltetes Handtuch unter dem Nacken – aber achte darauf, dass der Kopf nicht zu hoch liegt.


3. Kälteempfindlichkeit


  • Decke dich zu!

  • Nutze ggf. auch Socken oder eine Mütze – besonders im Winter oder nach anstrengender Praxis.


4. Innere Unruhe oder Angst


Einige Menschen fühlen sich in völliger Ruhe oder Stille unwohl – besonders bei psychischen Belastungen, Depressionen oder Panikattacken. In dem Fall:


  • Verkürze die Dauer von Shavasana.

  • Verwende beruhigende Musik oder Naturgeräusche.

  • Geführte Meditationen oder Bodyscans können helfen, nicht ins Grübeln abzurutschen.


Kontraindikationen – Wer sollte vorsichtig sein?


In der Regel ist Shavasana für fast alle Menschen geeignet. Dennoch gibt es einige Ausnahmen oder besondere Vorsichtsmaßnahmen:


Schwangerschaft (ab dem 2. Trimester)


Ab etwa der 20. Woche sollte Shavasana nicht mehr flach auf dem Rücken durchgeführt werden, da das Gewicht der Gebärmutter die untere Hohlvene abdrücken kann.


Alternative:

  • Lege dich seitlich (linke Seite), stütze dich mit Kissen oder Decken unter Kopf, Bauch und zwischen den Knien ab.

  • Diese Variante wird oft auch „Seiten-Shavasana“ genannt.


Traumatische Erfahrungen


Menschen mit traumatischen Erfahrungen oder PTBS können sich in Shavasana ausgeliefert fühlen. In solchen Fällen hilft:


  • Augen offen lassen oder nur halb geschlossen.

  • Eine Person im Raum bitten, dabei zu bleiben.

  • Einen festen Punkt oder ein Symbol (z. B. einen Kristall oder Stein) in der Hand halten.


Schwangere im Seiten-Shavasana mit Decken unter dem Kopf, Bauch und Knien als Unterstützung.
Für Schwangere ist die seitliche Variante von Shavasana eine angenehme Position. © Foto: Dangubic | Getty Images via Canva

Häufige Fehler in Shavasana


Auch in der scheinbar einfachsten Haltung schleichen sich kleine Fehler ein, die die Wirkung schmälern können. Hier ein paar typische Beispiele:


  • Zu kurze Dauer: 2 Minuten reichen selten aus. Gönne dir mindestens 5 bis 10 Minuten, besser mehr.

  • Gedankliches Wegrutschen: Pläne schmieden, To-dos durchgehen – all das kann warten. Bleibe im Moment.

  • Körperhaltung nicht angepasst: Schmerzen oder Unruhe sind kein Zeichen von „Unfähigkeit“, sondern Hinweis, dass etwas angepasst werden will.

  • Multitasking: Musik hören, aufs Handy schielen oder dabei meditieren – nein. Shavasana ist einfach nur Shavasana.


Shavasana als eigenständige Praxis


Du musst nicht warten, bis eine Yogastunde zu Ende ist, um Shavasana zu üben. Du kannst sie jederzeit als eigene Praxis in deinen Alltag einbauen – zum Beispiel:


  • Nach einem anstrengenden Arbeitstag

  • Vor dem Einschlafen

  • Nach dem Sport

  • Wenn Du überreizt oder überfordert bist


Schon 10 Minuten echtes Loslassen können Wunder wirken. Viele Yogalehrende nennen Shavasana sogar die wichtigste Asana von allen.


Varianten und Erweiterungen


Falls dir die klassische Form irgendwann zu vertraut oder monoton erscheint, kannst du Shavasana auch auf kreative Weise variieren:


Yoga Nidra


Eine geführte Tiefenentspannung, meist im Liegen – oft als „der yogische Schlaf“ bezeichnet. Du bleibst bewusst bei dir, während Körper und Geist völlig entspannen. Wunderbar zur Stressreduktion oder bei Schlafproblemen.


Shavasana mit Affirmationen


Wähle einen bestärkenden Satz wie z. B. „Ich bin sicher und geborgen.“ oder „Ich lasse los und vertraue dem Leben.“ Wiederhole ihn still während Shavasana – oder höre ihn als Audioaufnahme.


Klangreisen oder Mantren


Sanfte Klangschalen, Gong oder Mantren können helfen, tiefer zu entspannen oder innere Räume zu öffnen.


Shavasana und moderne Wissenschaft


Die Wirkung von Shavasana ist nicht nur philosophisch, sondern auch wissenschaftlich fundiert. Studien zeigen, dass diese Haltung:


  • Die Herzfrequenz und den Blutdruck senkt, was das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert.

  • Die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems fördert, was zu einem Zustand tiefer Entspannung führt.

  • Die Stressresistenz erhöht, indem sie den Cortisolspiegel senkt.


Fazit: Die stille Revolution des Loslassens


Shavasana mag äußerlich unspektakulär sein – doch innerlich ist sie ein Tor zur Tiefe. Sie ist kein „fauler Lückenfüller“ am Ende der Praxis, sondern eine eigenständige spirituelle Disziplin. Vielleicht sogar die ehrlichste aller Asanas.

Denn in Shavasana gibt es nichts zu erreichen. Nichts zu leisten. Kein Ziel, kein Erfolg. Nur du. Dein Atem. Dein Sein.


Und vielleicht ist genau das das Revolutionäre daran: Dass du dich einfach nur hinlegst – und für einen Moment all das sein lässt, was du sonst festhältst.

Gönn dir regelmäßig diesen Raum. Du wirst spüren, wie du nicht nur regenerierst – sondern nach Hause kommst zu dir selbst.


Namasté – und bis zur nächsten ruhigen Minute auf der Matte.

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