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Traumasensibles Yoga: Heilung durch Achtsamkeit und Bewegung

  • Autorenbild: Bettina Koch
    Bettina Koch
  • 10. Juni
  • 6 Min. Lesezeit

Traumasensibles Yoga (TSY) ist eine sanfte, achtsame Praxis, die speziell darauf ausgelegt ist, Menschen mit traumatischen Erfahrungen dabei zu helfen, wieder ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle über ihren Körper und Geist zu erlangen. Es verbindet die Prinzipien des Yoga mit psychologischen Erkenntnissen aus der Traumatherapie und bietet einen geschützten Raum, in dem Heilung und Selbstregulation stattfinden können.


Collage mit weißen Keramikplättchen auf grauem Hintergrund, beschriftet mit Begriffen wie „Trauma“, „Abuse“, „PTSD“, „Fear“, „Anger“, „Hopelessness“ und „Pain“. In der Mitte liegt ein herzförmiges Glasgefäß mit einer roten Blume, das auf einem Umschlag ruht – ein Symbol für verletzliche Emotionen und Heilung.
Psychische Gesundheit ist wichtig. © Foto von Susan Wilkinson auf Unsplash

Herkunft und Entwicklung von traumasensiblem Yoga


Die Idee, Yoga als Mittel zur Traumabewältigung einzusetzen, wurde durch die wachsende Forschung zu den Auswirkungen von Traumata auf das Nervensystem inspiriert. Besonders in den letzten Jahrzehnten hat sich das Verständnis für Trauma durch Pionierarbeiten von Wissenschaftlern wie Prof. Dr. Bessel van der Kolk, Peter Levine und anderen Traumaforschern erweitert. Ihre Erkenntnisse über die Verbindung von Körper und Geist sowie die Speicherung von Trauma im Körper ("the body keeps the score", wie van der Kolk es formuliert) legten den Grundstein für traumasensible Ansätze.


Der Begriff "Traumasensibles Yoga" entstand aus der Arbeit von David Emerson und Prof. Dr. Bessel van der Kolk am Trauma Center des Justice Resource Institute in Brookline, Massachusetts. Prof. Dr. van der Kolk als führender Experte auf dem Gebiet der Traumaforschung erkannte früh, dass sich traumatische Erlebnisse nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf den Körper auswirken.


Zu den Wegbereitern des traumasensiblen Yoga zählen vor allem Kripalu-Zentren in den USA und Organisationen wie Trauma Center Trauma Sensitive Yoga. Die Verbindung von traditionellem Hatha-Yoga mit Prinzipien der somatischen Traumatherapie hat dazu geführt, dass TSY heute ein anerkanntes Werkzeug für Menschen ist, die an Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) oder komplexen Traumata leiden.


"Ein Trauma ist eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis." – Elizabeth Hopper

Die Herangehensweise des traumasensiblen Yoga


Traumasensibles Yoga (auch „Trauma-Informed Yoga“) ist eine spezialisierte Form des Yoga, die darauf abzielt, die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit traumatischen Erfahrungen zu berücksichtigen.


Ein Trauma entsteht durch überwältigende Erlebnisse, die das Nervensystem überfordern und oft Spuren in Körper und Geist hinterlassen. Die Symptome können von Ängsten und Depressionen bis hin zu chronischen Schmerzen, einem Gefühl der Dissoziation und einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) reichen.


Mit dem traumasensiblen Yoga wurde ein Yogaansatz geschaffen, der den Fokus nicht auf körperliche Leistung oder Perfektion legt, sondern auf Sicherheit, Selbstbestimmung und die Wahrnehmung des eigenen Körpers.


Die Praxis basiert auf den gleichen Grundprinzipien wie traditionelles Yoga – Atemübungen (Pranayama), Körperhaltungen (Asanas) und Meditation – ist jedoch speziell angepasst, um mögliche Auslöser (sogenannte „Trigger“) zu minimieren.


Der Kern des TSY liegt in einem achtsamen und einfühlsamen Umgang mit den Teilnehmenden. Die Praxis ist geprägt von bestimmten Prinzipien:


  1. Sicherheit schaffen: Der Unterricht findet in einem geschützten Rahmen statt. LehrerInnen vermeiden alles, was potenziell retraumatisierend wirken könnte, wie bestimmte Worte, Bewegungen oder korrigierende Berührungen.

  2. Selbstbestimmung fördern: Teilnehmende werden ermutigt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, z. B. wie intensiv sie eine Übung ausführen oder ob sie bestimmte Bewegungen ganz auslassen möchten.

  3. Körperwahrnehmung stärken: TSY hilft den Teilnehmenden, den Kontakt zu ihrem Körper wiederherzustellen, ohne dabei Druck auszuüben. Der Fokus liegt auf dem Erkunden von Empfindungen und nicht auf der Perfektion der Körperhaltung.

  4. Vermeidung von Hierarchien: Die Lehrkraft agiert als unterstützende Begleitung, nicht als Autorität. Der Unterricht ist dialogisch gestaltet, und die Teilnehmenden werden in die Gestaltung des Prozesses einbezogen.


Durch achtsame Bewegung und bewusste Atmung hilft traumasensibles Yoga, das Nervensystem zu beruhigen, den Körper wieder als sicheren Ort zu erleben und emotionale Resilienz aufzubauen.


"Die Wunde ist der Ort, an dem das Licht in dich eindringt." – Rumi

Unterschiede zu anderen Yogastilen


Während viele Yogastile auf Fitness, Spiritualität oder Entspannung abzielen, steht beim traumasensiblen Yoga das subjektive Erleben im Vordergrund. Hier einige wesentliche Unterschiede:


  • Keine Leistungsorientierung: Im Gegensatz zu dynamischen Stilen wie Ashtanga oder Vinyasa Yoga liegt der Fokus nicht auf anspruchsvollen Sequenzen oder körperlicher Ausdauer.

  • Kein Fokus auf äußerliche Form: Die korrekte Ausführung der Asanas (Körperhaltungen) spielt keine zentrale Rolle. Vielmehr wird die Aufmerksamkeit auf die individuellen Empfindungen gelenkt.

  • Verzicht auf Hands-on-Anpassungen: LehrerInnen berühren die Teilnehmenden nicht, um Haltungen zu korrigieren, da dies retraumatisierend wirken könnte.

  • Achtsame Sprache: Die verbalen Anweisungen sind neutral und einladend, um Wahlmöglichkeiten zu betonen. Statt "Du musst deine Arme heben" könnte es heißen: "Vielleicht möchtest du deine Arme anheben."

Wissenschaftliche Erkenntnisse zum traumasensiblen Yoga


Die Wirksamkeit von traumasensiblem Yoga ist zunehmend Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Besonders hervorzuheben ist eine Studie von van der Kolk und Emerson aus dem Jahr 2014, die zeigte, dass TSY signifikante Verbesserungen bei Symptomen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bewirken kann:


  • Neurobiologische Effekte: Traumata beeinflussen das Nervensystem, indem sie das Gleichgewicht zwischen dem sympathischen und parasympathischen Nervensystem stören. TSY unterstützt die Regulierung dieser Systeme und fördert die Beruhigung des Körpers.

  • Körperliche Integration: Studien zeigen, dass Betroffene durch TSY ihre Körperwahrnehmung verbessern und sich wieder sicher in ihrem Körper fühlen können, was ein zentraler Aspekt der Traumaheilung ist.

  • Reduktion von Symptomen: Teilnehmende berichten von einer Verringerung von Hyperarousal (Übererregung), Flashbacks und emotionaler Taubheit.

Erfolge und Vorteile von traumasensiblem Yoga


Die Erfolge von TSY sind vor allem in der Praxis sichtbar:


  1. Stärkung des Selbstbewusstseins: Durch die Förderung von Selbstbestimmung lernen Teilnehmende, wieder Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und Entscheidungen zu entwickeln.

  2. Verbesserte emotionale Regulation: TSY bietet Werkzeuge, um mit starken Emotionen besser umgehen zu können.

  3. Reduktion von Angst und Stress: Die achtsame Praxis aktiviert den parasympathischen Nervensystem-Zweig, der für Entspannung zuständig ist.

  4. Integration von Körper und Geist: TSY fördert ein Gefühl von Ganzheit, das vielen Traumabetroffenen fehlt.

Studien zeigen, dass achtsame Bewegungstechniken wie Yoga die Aktivität des Parasympathikus (den „Ruhemodus“ des Nervensystems) steigern können. Sie reduzieren den Spiegel von Stresshormonen wie Cortisol und fördern die Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu heilen.


Aussichten in der Psychotherapie und Traumatherapie


Traumasensibles Yoga wird zunehmend als Ergänzung zu konventionellen Therapieformen wie der kognitiven Verhaltenstherapie oder EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) eingesetzt. Besonders in Kliniken und Traumazentren gewinnt diese Methode an Bedeutung:


  • Interdisziplinäre Ansätze: TSY wird häufig in Kombination mit Psychotherapie genutzt, um Körper und Geist gleichzeitig zu adressieren.

  • Langfristige Integration: Die Praktiken des TSY können leicht in den Alltag der Betroffenen integriert werden, wodurch sie auch außerhalb von Therapiesitzungen zur Selbstregulation beitragen können.

  • Stärkung der Resilienz: Regelmäßige Yoga-Praxis hilft Betroffenen, besser mit zukünftigen Belastungen umzugehen.


"Es ist dein Weg, und nur deiner, andere mögen ihn mit dir gehen, aber niemand kann ihn für dich gehen." – Rumi

Für wen ist traumasensibles Yoga geeignet?


Diese Form des Yoga ist besonders hilfreich für:


  • Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS)

  • Personen, die unter chronischem Stress oder Angststörungen leiden

  • Menschen, die sich von ihrem Körper entfremdet fühlen

  • Alle, die achtsam und sanft Yoga praktizieren möchten


Tipps für den Einstieg in traumasensibles Yoga


Wenn du traumasensibles Yoga ausprobieren möchtest, beachte die folgenden Tipps:


  1. Wähle erfahrene LehrerInnen: Suche nach zertifizierten YogalehrerInnen, die in traumasensibler Praxis geschult sind.

  2. Achte auf deine Grenzen: Höre auf deinen Körper und nimm dir Pausen, wann immer du sie brauchst.

  3. Sei geduldig: Heilung ist ein Prozess. Gib dir selbst die Zeit, die du brauchst.

  4. Nutze Hilfsmittel: Decken, Blöcke oder Kissen können dir helfen, dich während der Praxis wohler zu fühlen.


Buchempfehlungen über traumasensibles Yoga


Du möchtest mehr über TSY erfahren? Hier einige Buchtipps:


  • Traumasensibles Yoga - TSY: Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl von Angela Dunemann, Regina Weiser und Joachim Pfahl: Dieses Buch zeigt, warum Yoga ein zentraler Baustein in der traumasensiblen Körperarbeit ist. Durch achtsame Körperwahrnehmung kann die Verbindung zu sich selbst und zur Umwelt wieder gestärkt werden – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Selbstwirksamkeit und innerer Stabilität. In der aktualisierten 4. Auflage werden die Praxis, die Polyvagaltheorie und zahlreiche Übungsanleitungen anschaulich und verständlich dargestellt. Ein fundierter, praxisnaher Begleiter für alle, die Yoga therapeutisch oder unterstützend bei Trauma einsetzen möchten.

  • Trauma-Yoga - Heilung durch sorgsame Körperarbeit von David Emerson und Elizabeth Hopper: Dieses Buch bietet ein achtsames, körperorientiertes Yoga-Programm speziell für Menschen mit traumatischen Erfahrungen. Basierend auf der Arbeit von Bessel van der Kolk zeigt es, wie einfache Übungen, Atemtechniken und Achtsamkeit helfen können, das Vertrauen in den eigenen Körper wiederzuentdecken. Es vermittelt die Grundlagen traumasensiblen Yogas, erklärt verständlich die Hintergründe von PTBS und enthält praxisnahe Anleitungen mit vielen Fotos – ein wertvolles Werkzeug für Betroffene, TherapeutInnen und Yogalehrende.


  • Wenn dein Körper sich erinnert von Eva Weinmann: Dieses Buch zeigt einfühlsam, wie Yoga helfen kann, nach Trauma oder chronischem Stress wieder in Verbindung mit dem eigenen Körper zu kommen. Die Psychologin und Yogalehrerin Eva Weinmann vermittelt fundiertes Wissen über Trauma und gibt praktische Übungen an die Hand, um Körperwahrnehmung, Selbstregulation und Selbstwirksamkeit zu stärken. Mit sanften Asanas, Atemtechniken, Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Übungsfotos und Videos ist es ein hilfreicher Begleiter für Betroffene, Yogapraktizierende und -lehrende, die Yoga traumasensibel gestalten möchten.


Fazit


Traumasensibles Yoga ist mehr als nur eine Form von Bewegung – es ist eine Einladung, den eigenen Körper neu zu entdecken und traumatische Erfahrungen achtsam zu verarbeiten. Die Kombination aus alten yogischen Prinzipien und modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen macht TSY zu einem wertvollen Werkzeug in der Traumatherapie. Mit seiner Fähigkeit, sowohl körperliche als auch emotionale Heilung zu fördern, bietet TSY vielversprechende Aussichten für die Zukunft der Psychotherapie.


Ob als eigenständige Methode oder in Kombination mit anderen Therapieansätzen – traumasensibles Yoga schenkt Hoffnung und Heilung auf dem Weg zurück zu einem Leben voller Selbstbestimmung und innerer Ruhe.

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